Kirschen im Boomgarden - Boomgarden

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Kirschen im Boomgarden

Hintergründe Wissenswertes
Die Kirschen des Alten Landes und das Boomgarden - Projekt
Kirschen spielten  im Alten Land   immer schon eine große Rolle. „Kassbeern“ nannte die alten Plattdeutschen diese Früchte - ein Wort, das heute fast völlig vom hochdeutschen  „Kirschen“ verdrängt worden ist. Mein Vater auf der Stader Geest redete noch von „Kassbeern“, wenn er die kleinen Früchte  wilder oder verwilderter Kirsche meinte und alte Alttländer verwenden das Wort wohl gelegentlich noch mal, wenn sie von  den kleinen Früchten alter Wirtschaftssorten reden z.B. den „Mettentwiesseln“.  „Twiesseln“ scheinen mit den kleinfrüchtigen „Kassbeern“  identisch zu sein, es gab u.a. „Hauschildts Twiesseln“ und „Fooths Twiesseln“.
Kirschen mögen keine nassen Füße, darum standen und stehen Kirschbäume in den höheren Teilen des Alten Landes wie direkt am „hohen“ Ufer der Elbe (wo das Land auf über 1 Meter über N.N. ansteigt !) oder - landeinwärts im Sietland   -  an den Straßen , Deichen und auf den höheren Partien der Hofgelände direkt am Gehöft. So sind sie seit jeher immer gut zu sehen gewesen, für die Einheimischen, die während der Erntezeit  „Spreen und Möwen hüten“, d.h. ihre kostbaren Früchte gegen die gierigen Stare und Möwen  verteidigen mussten, aber auch für die Gäste und die durchreisenden Besucher, die vor allem während der Blüte ins Land kamen. In Reiseberichten aus dem 18. Jahrhundert  ist   vom Alten Land als von einem riesigen blühenden Kirschgarten die Rede. Die anderen Obstarten nahmen zwar einen viel größeren Teil des Obstsortiments ein, waren aber in den oft kilometerlangen Pflanzungen hinter den Gehöften  aber den Blicken der durchreisenden Besucher weitgehend entzogen.
Welch eine wichtige Rolle die Kirschen in vorigen Jahrhunderten im wirtschaftlichen Leben spielten, wird deutlich am Beispiel des „Hamburger Kirschenkrieges“. 1581 ärgerte sich der oberste Landesherr des Alten Landes, der Erzbischof von Bremen, der sich nach der Reformation Herzog von Bremen und Verden nannte, über Hamburger Übergriffe auf bremische Häfen an der Niederelbe und verbot die Einfuhr des berühmten Hamburger Bieres. Daraufhin untersagte der Rat der Stadt Hamburg Einfuhr und Verkauf Altländer Kirschen.
Nachdem der Streit wohl zwischenzeitlich beigelegt war, flammte er 1611 erneut auf. Jetzt verbot der Bremer Landesherr den Import Hamburger Bieres mit der Begründung, seine Untertanen vor weiterer Verschuldung schützen zu müssen. Diese betrug allerdings in den Altländer Kirchspielen zu dieser Zeit auch stattliche 51 293 Mark und 4 Schillinge. Hamburg konterte wieder mit einem Einfuhrverbot für Kirschen und sonstiges Obst aus dem Alten Land und gab diesmal wirtschaftliche, hygienische und gesundheitliche Gründe an; die Unmenge von Obst, die nach Hamburg geschleppt werde, schädige die Stadt finanziell, auch führe der freie Obstverkauf zu übermäßig starkem Genuss und zu allerlei Krankheiten. (siehe H.P. Siemens, Der Obstbau an der Niederelbe, 1948)
Welche Sorten in den Kirschhöfen früherer Jahrhunderte im Alten Land standen, entzieht sich weitgehend unserer Kenntnis. Siemens zitiert das „Hannoversche Magazin“ von 1769: „ Was aber doch vorzüglich ... angezogen wird, solches sind die Kirschen und sonderlich die edleren Sorten derselben, die Morellen, die Herzkirschen, die blauen Italiener und wie sie sonst genannt werden. Die schwarzen Kirschen, die zum Einmachen und zum Wein gebraucht werden sind ... nicht so häufig...“  Siemen s schreibt 1948: „ Von den Italienern, die man gewöhnlich abgekürzt „Blaujener“ nennt, gibt es nur noch vereinzelt Bäume; sie tragen schwarzblau glänzende weiche Kirschen, etwas größer als die bekannten „Spitzen“.
Knapp 60 Jahre später fand ich auf einem Obsthof in Mittelnkirchen   tatsächlich noch ein Exemplar dieser alten Sorte. Der mächtige Stamm war schon in gut zwei Meter Höhe gekappt -   nur ein kräftiger, etwa 4 Meter langer Seitenast war noch vorhanden. Vorhanden war auch noch genügend junges Holz, dass ich noch Reiser schneiden konnte. Alle drei veredelten Reiser wuchsen aber nicht an. Als ich im nächsten Jahr wieder auf den besagten Hof  .kam, war der Baum gefällt. „Du hattest ja letztes Jahr Reiser geschnitten, da konnten wir ihn doch endlich ummachen“. Gott sei Dank hat meine Kollegin Annette Braun-Lüllemann im Rahmen einer erneuten Erfassungsaktion doch noch wieder Blaujener gefunden, wiederum nur noch einen Ast auf einem alten Baum, der aber noch Reiser liefern konnte.
Die alten Altländer Kirschsorten sind großenteils nach den Altländer Obstbauernfamilien benannt, von denen sie entdeckt oder gezogen worden sind. Man säte einfach von seinen besten Kirschsorten Kerne aus und beobachtete, was dabei an Neuem herauskam. Das Beste pflanzte man dann in seinen Kirschhof als Ersatz für abgängige Bäume.  So finden wir dann  die Schubacks, zum Feldes, Minners, Stechmanns, Garrns, von Bremens, von Husens, Hauschildts usw. in der Benennung der alten Kirschsorten  wieder.
Es gibt kaum schriftliche Quellen zum alten Altländer Kirschsortiment. Das „Goldene Zeitalter der Pomologie“, das  im 19. Jahrhundert die Vielfalt der Obstsorten erfassen wollte, hat im Alten Land nicht stattgefunden. Die vorzugsweise an der materiellen Seite des Obstbaus orientierten pragmatischen Altländer hatten wohl kein Interesse an den pomologischen Sammeleien und Fachsimpeleien der gebildeten und vielleicht oft auch etwas abgehoben - intellektuellen Hobby - Obstzüchter. Die praktisch tätigen Bauern haben bis zum Ende des 19. Jahrhunderts kaum je über ihren Fachbereich geschrieben - häufig haben sie vielleicht auch gar nicht einmal wirklich viel mehr als ihren Namen schreiben können.
Über weitergehende Theorien haben sie sich wenig Gedanken gemacht, das überließen sie gerne den schreibkundigeren Pastoren, Küstern und Schullehrern.
1. Kirschwoche
hier reift zwar die „Früheste der Mark“, doch ist diese Sorte im Alten Land so gut wie nicht vertreten.
2. Kirschwoche
(„Kassins Frühe“ kommt kaum vor)
„Holsteiner“
„Sumfleths Frühe Bunte“
„Altländer Hedelfinger“ (= Coburger Maiherzkirsche)
3. Kirschwoche
„zum Feldes Früher Schwarze“
„Schubacks Frühe Schwarze“
„Maikirsche“
„Minners Bunte“
4. Kirschwoche
„Wesselhöfts“
„von Husens Frühe Schwarze“
„ Hauschildts Frühe Schwarze“
„Stechmanns Bunte“
„Luciens Bunte“ ( = „Lucien Kirsche“)
„Garrns Bunte“
„von Bremens (Saure)“
5. Kirschwoche
„Rube“
„(Altländer) Spitze“
„Bunte Rube“
„Zuckerbunte“
„Große Blanke“
6. Kirschwoche
„Kleine Blanke“ = „Kleine Große“ = „Foots (Twiesseln)“
„Hamm Blanke“ = „Bittere Blanke“
„Albers Blanke“
7. Kirschwoche
„Gehrdener (Späte Spitze)“ = „ Mojes Spitze“ = Späte Rube“ = „Wasserdichte“
„Späte Spanische“ = „Lootspoonsche“
„Allers Späte“
„Späte Kirsche“ = „Jorker Späte“
Die meisten der oben genannten Sorten habe ich in mehreren Anläufen selber wieder auffinden können. Es fehlen noch „Sumfleths Frühe Schwarze“, die „Zuckerbunte“, „Albers Blanke“ . Gefunden worden sind auch noch einige andere alte Sorten wie die „Spitze Bunte“, die „Lübecker Bunte“, die „Königsspitze“, „Cohrs Frühe Schwarze“ und „Wiebusch“„.
Und diverse namenlose Sorten auf oft sehr alten Bäumen, die sehr schwer bestimmbar sind, weil es genauere pomologische Literatur über Altländer Kirschsorten nicht gibt.
In seiner Doktorarbeit über die deutschen Kirschsorten (1965) erwähnt der Berliner Diplom-Gärtner Dähne auf der letzten Seite, es gäbe ja auch noch 65 Kirschsorten im Alten
Land, auf die er aber in dem von ihm gesteckten Rahmen nicht eingehen könne.
Schade eigentlich.
Im Frühling 2008 hat Olaf Dreyer vom Pomologenverein Hamburg nochmals einen großen Aufruf über die Presse geschickt und darum gebeten, ihm Standorte alter Kirschsorten im Alten Land zu melden. Es kamen insgesamt an die 40 Meldungen, viel Namenloses dabei, aber doch auch einige Meldungen seltener Sorten, von denen wir bislang nur einen einzigen Standort kannten. Neu entdeckt wurden „Minners Bunte“ und die „Holsteiner“.
Bei der von der Niedersächsischen Bingo Umweltstiftung geförderten erneuten Erfassung der Altländer Kirschsorten durch Dr. Annette Braun-Lüllemann im Sommer 2015 wurden nun 32 Standorte alter Kirschsorten erfasst, von denen ich allerdings 13 schon zuvor gefunden und an die Projektleiterin weitergemeldet hatte. Von ihren in ihrem "Ergebnisbericht" aufgeführten 38 alten Altländer Kirschsorten hatte ich schon 25 Sorten zuvor ausfindig gemacht und erneut in die Vermehrung gebracht und im Herbst 2012 in unserm neuen Sortenerhaltungspark Boomgarden Park Helmste aufgepflanzt. Dort stehen jetzt  34 alte historische Kirschsorten,  alle - außer der "Roten Maikirsche" der "Beelitzer Kirsche" und den "Kassbeern" meines Vaters - aus dem Alten Land stammend. Vier namentlich bekannte Altländer Sorten ("von Husens Frühe Schwarze", Cohrs Frühe Schwarze" Heinrichs Bunte", "Spitze Bunte") und zwei Sorten nur mit "Arbeitsnamen" (" Bunte Weiche", "Bunte Feste" ) sind von Dr. Braun-Lüllemann nicht in ihrem Erfassungsbericht berücksichtigt worden, da die Mutterbäume im Alten Land schon nicht mehr stehen und die daraus erzogenen Jungbäume bei mir noch nicht alle fruchteten. Sie gehören jedoch m.E. mit in den Erfassungsbericht hinein, der sich ja nicht nur auf Altbäume beschränken kann, sondern die von mir gerade noch geretteten alten Sorten auf Jungbäume mit erwähnen müsste.
 
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